Mit der Anmeldung unseres großen Sohnes stellte sich die Frage, ob wir auch seinen jüngeren Bruder am Engelberg einschulen. Er ist eher ein kleiner Ingenieur. Würden seine naturwissenschaftlichen Talente am Engelberg genügend gefördert? Oder würde er sich langweilen? In den ersten Jahren haben Kinder in Waldorfschulen viel Zeit. Im Rechnen geht es flott, aber beim Schreiben trödeln sie. Wir haben ihn schließlich angemeldet. Und wurden prompt während der ersten Schuljahre ein paar Mal zum Elterngespräch gebeten. Während wir unseren Sohn als ernsthaft, manchmal fast verschlossen erlebten, berichtete seine Klassenlehrerin von einem äußerst lebhaften Bürschchen, der den feinen Unterschied zwischen Pause und Unterricht erst noch lernen müsse. Es klang viel Sympathie für ihn mit. Wir waren überrascht, offenbar testete unser gehorsamer Sohn im Unterricht seine Grenzen aus. Ich erklärte mir das damit, dass er sich in der Klassengemeinschaft wohlfühlt und sich selbst Zeit für seelische Entwicklung gönnt – die intellektuelle Würde dann noch früh genug kommen. Heute denk ich, dass Waldorfpädagogik offen mit Entwicklungsphasen ganz unterschiedlicher Temperamente umgeht. Dass auch rational veranlagte Kinder wichtige Anregungen erhalten – gerade weil sie Seiten ihrer Persönlichkeit entwickeln können, die man vielleicht übersieht, wenn man zu sehr in Schubladen denkt.